Lesbische Sichtbarkeit – Ein bittersüßer Tag am See

Lesbische Sichtbarkeit ist ein großes Wort. Für mich begann es ganz klein – mit einem Tag am See, an dem ich zum ersten Mal als Frau mit meiner Partnerin unterwegs war. Zwischen Mut und Zweifeln spürte ich: Es braucht Kraft, sichtbar zu sein. Aber es kann auch befreiend sein.
Spontanität und ein besonderer Blick
Wir sind beide spontane Menschen. Oft sind es die ungeplanten Momente, die die größten Erinnerungen hinterlassen. An diesem warmen Sommertag wollten wir einfach raus, die Sonne genießen und uns treiben lassen. Wir gingen shoppen – wie so oft, wenn uns die Lust packte. Für mich war es schon damals etwas ganz Besonderes, durch die Damenabteilung zu schlendern. Nicht, weil es das erste Mal war. Sarah hatte mich schon mehrfach beim Kleiderkauf unterstützt. Aber jedes Mal war es wie ein kleines Fest, endlich die Kleidung ansehen und tragen zu dürfen, die ich mir früher nur heimlich erträumt hatte.
Früher hasste ich shoppen. Männerkleidung fühlte sich an wie ein Panzer, in den ich gezwängt wurde. Nichts passte zu mir. Doch jetzt war alles anders. Jetzt war ich ich – und Sarah an meiner Seite machte es noch schöner. Ihre Blicke, ihre Tipps, ihr Lächeln, wenn ich etwas Neues ausprobierte, gaben mir das Gefühl, gesehen und aufgefangen zu sein.
Der Moment der Unsicherheit
Mein Blick blieb an wunderschönen, femininen Bikinis hängen. Ich träumte davon, am Wasser zu sein, Sonne auf der Haut zu spüren, ganz selbstverständlich als Frau. Doch dann zogen dunkle Gedanken auf. Wie sollte ich mich so am Strand zeigen?
Damals hatte ich noch ein männliches Merkmal, das ich nicht zeigen wollte. Die Vorstellung, mit einer sichtbaren Beule im Slip dazustehen, ließ mich frösteln, obwohl es draußen warm war.
Sarah bemerkte mein Grübeln und den traurigen Blick. Sie nahm mich an die Hand, sah mir tief in die Augen und flüsterte: „Hab keine Angst… wir gehen schwimmen und finden etwas Passendes für dich.“
Ihre Lösung war so einfach wie genial. Sie führte mich zu einer Stange mit Badekleidern. Eines davon war blau – nicht meine Lieblingsfarbe, aber es eröffnete mir die Möglichkeit, endlich wieder schwimmen zu gehen. Endlich ich zu sein, ohne Angst.
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Ein Sprung ins Unbekannte
Vorsichtshalber zog ich das Badekleid schon zu Hause unter meine Kleidung, um unangenehme Situationen am See zu vermeiden. Als wir ankamen, breiteten wir unsere Decke auf einer sonnigen Wiese aus. Sarah sah in ihrem neuen Badekleid einfach fantastisch aus – so frei, so selbstsicher.
Wenig später nahm sie meine Hand und zog mich sanft Richtung Wasser. „Komm“, sagte sie lächelnd. „Lass uns das zusammen machen.“
Es war keine Überwindung für mich. Es fühlte sich schön an – wie ein Stück neu gewonnene Freiheit. Als ich ins Wasser glitt, war da dieses leise Glücksgefühl: Endlich ist alles richtig. Sarah war an meiner Seite, unsere Hände berührten sich kurz, bevor wir losschwammen.
Ich achtete sehr darauf, Abstand von anderen Menschen zu halten. Planschende Leute, die Wasser ins Gesicht spritzen könnten, machten mich nervös. Ich wollte nicht riskieren, dass mein Make-up sich löst und der Bartschatten durchschimmert. Doch trotz dieser kleinen Sorgen war es befreiend. Ich fühlte mich so, wie ich es mir immer gewünscht hatte – stark und gleichzeitig verletzlich in meiner lesbischen Sichtbarkeit.
Zweifel im Sonnenschein
Später lagen wir auf der Decke. Die Sonne wärmte unsere Haut, das Gras kitzelte an meinen Armen. Ich legte den Arm um Sarah. Es hätte perfekt sein können. Aber dieser Moment fühlte sich anders an, als ich es mir unsere neue lesbische Sichtbarkeit je vorgestellt hatte.
Plötzlich zweifelte ich. Ist das wirklich richtig? Bin ich überhaupt glücklich? Die Gedanken überschlugen sich. Vielleicht brauche ich doch einen Mann, um glücklich zu sein. Schließlich bin ich eine Frau – und ist es nicht „normal“, dass Frauen mit Männern zusammen sind? Ich hatte noch nie zuvor darüber nachgedacht, lesbisch zu sein. Jetzt kam dieser Gedanke plötzlich mit voller Wucht.
Später, zu Hause, sprach ich mit Sarah darüber. Ich erzählte ihr, dass es sich seltsam anfühlte, plötzlich als lesbisches Paar unterwegs gewesen zu sein. Ich weiß nicht mehr viel von diesem Gespräch, aber ich glaube, es ging ihr ähnlich. Wir waren beide auf einem Weg, der viele Fragen aufwarf und doch so richtig schien. Schließlich war unsere lesbische Sichtbarkeit nicht nur für mich, sondern auch für sie eine völlig neue Erfahrung und zugleich Herausforderung.
Ein bittersüßer Anfang
Dieser Tag am See war der Anfang eines großen Gefühls- und Beziehungschaos. Mit Beginn der Hormontherapie wurden diese Emotionen noch intensiver, manchmal überwältigend. Aber das ist eine andere Geschichte.
Trotz aller Zweifel bleibt mir dieser Tag als ein Moment der Freiheit im Gedächtnis. Ein erster kleiner Schritt, mich nicht mehr zu verstecken. Und Sarah, die mich mit ihrer Liebe und Geduld auffing, gab mir die Kraft, weiterzugehen.
Lesbische Sichtbarkeit ist oft ein Weg aus kleinen Schritten, leisen Zweifeln und mutigen Momenten. Wenn du selbst deinen Platz suchst, findest du bei Lesbenring e. V. viele Impulse und Unterstützung.
3 Tipps für mehr lesbische Sichtbarkeit
- Finde deinen Rhythmus
Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt – jeder Schritt zählt. - Vertraue auf deine Community
Der Austausch mit anderen kann dir Kraft geben. - Sei stolz auf dich
Jede Geste der Offenheit ist ein Akt der Sichtbarkeit und Mut.
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