Mein Coming Out vor den Eltern

Es gibt Begegnungen, die so tief schmerzen, dass sie ein ganzes Leben prägen. Mein Coming Out vor den Eltern war eine davon – ein Gespräch voller Hoffnung, Angst und bitterer Enttäuschung.
Liebe, die ich nie spüren durfte
Zu meinen Eltern hatte ich nie ein besonders gutes Verhältnis. Was mir in meiner Kindheit fehlte, war das Gefühl von Liebe und Geborgenheit. Sie konnten ihre Zuneigung zu mir nie zeigen. Stattdessen versuchten sie es auf ihre Weise – mit materiellen Dingen. Weihnachten überschütteten sie mich regelrecht mit Geschenken. Es war ihre Art zu sagen: „Wir lieben dich.“
Doch bis heute mag ich aus diesem Grund keine Geschenke. Liebe, Aufmerksamkeit und ehrliche Gespräche sind für mich das Einzige, was wirklich zählt.
Mein ganzes Leben habe ich um Anerkennung und Wertschätzung von meinen Eltern gekämpft. Aber egal, was ich tat – nie schien es gut genug. Weder gute Jobs in Führungspositionen noch ein luxuriöser Lebensstil beeindruckten sie. Nichts schien sie stolz auf mich zu machen.
Das große Coming Out vor den Eltern im Garten
Mein Herz raste, als ich sie ankommen sah. Die Begrüßung war kurz und formlos. Sie setzten sich, und ich bot ihnen noch Kaffee an, bevor wir mit dem Gespräch begannen.
Das Outing vor meinen Eltern fand in meinem damaligen Garten statt. Ich war extrem aufgeregt und gab mir viel Mühe mit meinem Outfit. Ich suchte ein hübsches Kleid heraus und schminkte mich so gut ich konnte. Ich wollte mich nicht länger verstellen und mich meinen Eltern so zeigen, wie ich wirklich bin: weiblich und feminin.
„Was ist bei dir los?“ fragte mein Vater direkt. „Wie kommst du denn plötzlich darauf, eine Frau sein zu wollen?“
Ich versuchte zu erklären, dass es nichts Plötzliches war. Dass ich mich schon immer im falschen Körper gefühlt hatte. Dass ich mir sicher sei, weil ich jahrelang darüber nachgedacht und alles in Frage gestellt hatte. Doch sie winkten meine Worte ab. „Das ist doch nur wieder eine Phase“, meinten sie. „So wie damals mit deiner Gothic-Zeit.“
Selbst das war keine Phase gewesen. Auch heute liebe ich diesen Stil und kleide mich manchmal noch so.
Kalte Worte, die verletzen
Dann fragte mich mein Vater: „Bist du dir überhaupt bewusst, was du damit anrichtest?“
„Was meinst du damit?“ fragte ich.„Du bist viel zu schwach, um das durchzuziehen“, sagte er. „Du wirst den Spott nicht ertragen. Außerdem wirst du keinen Job mehr bekommen und deine Familie nicht mehr ernähren können. Und was denkst du eigentlich – auf welche Toilette willst du dann gehen? Du bist nirgends erwünscht.
“Mit solchen Reaktionen hatte ich nicht gerechnet. Gerade von meinen Eltern hatte ich mir Verständnis und Zuspruch erhofft. Doch mein Vater redete weiter:„Wir können dich auf diesem Weg nicht unterstützen. Den musst du allein gehen. Gerne kannst du uns weiterhin besuchen – aber bitte nur männlich gekleidet oder nach den Öffnungszeiten der Baumschule. Wir haben uns unser Ansehen und unsere Firma hart aufgebaut und lassen das nicht von dir kaputt machen.
“Mir blieb die Luft weg. Wut stieg in mir auf, aber ich war zu sprachlos, um zu reagieren.
Dann sagte er: „Weißt du überhaupt, was du deinen Kindern damit antust? Wegen dir werden sie in der Schule gemobbt.“
Als es aus mir herausbrach
Da platzte es aus mir heraus. Ich schrie meine Eltern an: „Was glaubt ihr denn, was passiert wäre, wenn ich mich nicht geoutet hätte? Dann wäre ich jetzt tot!“Mit Tränen in den Augen erklärte ich ihnen, dass ich nicht mehr als Mann hätte weiterleben können. Dass ich diesen Weg zu meinem wahren Ich gehen MUSSTE, um überhaupt weiterleben zu können. „Glaubt ihr wirklich, es wäre für meine Kinder besser gewesen, wenn ich sie durch einen Suizid im Stich gelassen hätte?“
Der Bruch
Danach herrschte peinliches Schweigen. Meine Mutter sagte nur: „Als Kind hast du nie Anzeichen gezeigt, dass du trans bist. Ich verstehe das alles nicht.“
Sie tranken ihren Kaffee aus und verabschiedeten sich kühl. Nach dem Coming Out vor den Eltern fühlte ich mich leer. Traurig, wütend, enttäuscht. Zwei Wochen kämpfte ich erneut mit Depressionen. Am Ende fasste ich eine Entscheidung: Ich brach den Kontakt zu meinen Eltern ab – für immer.
Doch dies war noch nicht das Ende meiner vielen Outings. Nach einer 6-wöchigen Pause folgte dann das Outing im Job. Wie es ausging? Dies erfährst du HIER.
Mein Coming-out war ein wichtiger Schritt, aber es war nur der Anfang. Wie es danach weiterging – bis hin zur Geschlechtsangleichung – und wie mein Körper heute aussieht, erzähle ich in Neovagina Bilder – mein ehrliches Ergebnis nach 13 Monaten.
Was meinst du?
Hättest du an meiner Stelle genauso reagiert und den Kontakt abgebrochen? Schreib mir deine Gedanken gerne in die Kommentare.
Mini-Ratgeber: Coming Out vor den Eltern – 3 Tipps
Ein Coming Out vor den Eltern kann eine der schwierigsten Situationen deines Lebens sein. Diese drei Tipps können dir helfen, dich besser vorzubereiten:
1. Wähle den richtigen Zeitpunkt und Ort
Sprich mit deinen Eltern in einer ruhigen Situation, in der ihr ungestört seid und genügend Zeit habt.
2. Bereite dich auf unterschiedliche Reaktionen vor
Auch wenn du dir Unterstützung wünschst, können Ablehnung oder Unverständnis auftreten. Es ist wichtig, dir vorher emotionalen Rückhalt (z. B. durch Freunde) zu sichern.
3. Hole dir Unterstützung
Beratungsstellen wie TransInterQueer e. V. bieten wertvolle Hilfe, um dich auf dein Coming Out vorzubereiten und begleiten dich auf diesem Weg.
4. Gib deinen Eltern Zeit
Manche Menschen brauchen eine Weile, um die neue Realität zu verarbeiten. Bleib geduldig – auch wenn es schwerfällt.
5. Denke an deine eigene Gesundheit
Deine psychische Stabilität steht an erster Stelle. Wenn die Situation toxisch wird, darfst du dich schützen – auch durch Distanz.
Lies weitere hilfreiche Tipps für dein Outing
Wir haben einen Ratgeber mit 10 praktischen Coming-Out-Tipps erstellt – inklusive hilfreicher Strategien und einer gratis PDF.